Es wird erstaunlich spät hell in der Früh und rasch dunkel am Abend. Die Nähe zum Äquator macht sich bemerkbar. Wenn die Sonne untertags die Kälte der Nacht beiseite schiebt, ist sie urplötzlich warm, grell und stark. Solch ein Wetter hatten wir uns gar nicht erwartet. Kurze Leiberl sind also angesagt und wären wir nicht in der Großstadt, könnten wir sogar Sandalen tragen. Sonnenbrillen sind unabdingbar, Sonnenhüte auch. Der erste Andensonnenbrand macht sich auf der hellen europäischen Haut breit, denn Andensonne ist hier gleichzeitig Höhensonne. Wenn die Sonne weg ist, wird es wieder schlagartig eiskalt.
Anders als im Supermarkt einzukaufen, braucht einiges an Ortkenntnissen – die wir uns langsam aneignen – und Wissen, wo es was gibt. Es gibt Gassen für Schuhe, andere für Sportbekleidung, für Schlüssel, für Faschings- und Geburtstagsbedarf, für Bolivianische PatriotInnen, für Töpfe in allen erdenklichen Größen, Gassen für Fleisch – ungekühlt, versteht sich – und dazwischen verkaufen Cholitas alles, was der eigene Garten hergibt. Saison haben gerade Papayas, Ananas, die eine ganz dunkle Schale haben, Avocados von der Größe eines Handballs und etliche Kartoffelarten in vielen unterschiedlichen Formen und Größen, Limonen gibt es in Klitzeklein, Mandarinen hingegen in Riesig. Gerne würden wir zuschlagen, doch wir sind unsicher, was das Handeln betrifft, denn, was dürfen in La Paz zwei Avocados kosten? Wir lassen es also erstmal und bezahlen unser Lehrgeld an einer Thermosflasche, die der Verkäufer freundlich viel zu teuer verkauft, wie wir später beim Vergleich in einem anderen Geschäft in der Outdoor-Zubehör-Gasse feststellen, und gibt uns dann auch noch zu wenig Restgeld. Doch wir können auch lächeln und das berichtigen – die Zahlen auf Spanisch sitzen. Der Verkehr wälzt sich vorbei. Die Autos, Kleinbusse und Busse wirken wie auf einem Parkplatz, quälen sich im Schritttempo und mit riesigen qualmenden Abgaswolken durch die Marktstraßen bergauf und bergab. Köpfe werden aus dem Seitenfenster gesteckt, um das Fahrtziel zu brüllen oder lauthals Platz in dem Gewühl zu beanspruchen. Dazwischen verkaufen Cholitas Selbstgekochtes, das warm ins Jausensackerl gefüllt wird, mit scharfer Sauce drauf. Oft gibt es auch Suppe oder Selbstgegrilltes in kleinen Schüsseln. Diese werden mit Plastiksackerl ausgelegt, so erspart sich die Verkäuferin das Abwaschen im Anschluss. Dann wird alles in großen Bissen in den Mund gesteckt, sollten Knochen drinnen sein, werden diese direkt wieder aus dem Mund gefischt.
Die obligaten Lama-Föten hängen am nächsten Standl, wozu auch immer diese dienen, wir haben keinen Bedarf. Gelernt haben wir, dass die Sonntagsmärkte jedes erdenkliche Konsumteil liefern können, wenn auch nicht ganz so bequem, wie auf der Mariahilfer-Straße, aber durchaus durchschaubar.
Essen gehen kann extrem günstig sein, wir biegen in der Frittierte-Forelle-Gasse ein und essen köstlich. Für uns vier reichen zwei Hauptgerichte, die mit dem Löffel und den Fingern gegessen werden, dazu ein Fanta, macht umgerechnet 5 Euro, wobei das Fanta soviel kostet wie eine Hauptspeise.
Das Finale der Fußballweltmeisterschaft sehen wir mit den La PazerInnen beim Public Viewing in unserem nun schon bald Lieblingslokal. Dort wagen wir uns auch ans offene Eis und wischen diesbezügliche Bedenken zur Seite – es lohnt sich, denn Ananas- und Maracuja-Eis in Kombination mit Fruchtsalat und einem Stück üppiger Schokoladetorte passen gut zum Sieg der Deutschen. Selbstverständlich werden wir gefragt, zu wem wir halten. Wir denken, dass die BolivianerInnen auf Seiten der Argentinischen Mannschaft sind. Weit gefehlt! Die Deutschen werden bejubelt und der Sieg beklatscht, wir beglückwünscht, danke, somos de austria. Später erfahren wir, dass die ArgentinierInnen die BolivianerInnen als hinterwäldlerische Bauern verspotten. Da ist also nicht viel Liebe da.
Hartgesotten steigen wir in den Bus nach Hause, wir sind stolz zu wissen, wo wir die Busse abpassen können, welchen wir nehmen – auch wenn wir es ehrlicherweise noch nicht ganz durchschaut haben – und fühlen uns privilegiert, zu viert in der letzten Reihe sitzen zu können, wenn in den vollen Kleinbus noch eine fünfköpfige Familie mit Baby einsteigt, der wir nicht mal Platz machen könnten, wenn wir es wollten. Sie müssen teilweise stehen, auch wenn es eigentlich keine Stehplätze gibt. Immerhin müssen sie dann alle wieder kurzfristig aussteigen, als wir es wollen und können unsere Plätze haben. Die Formel für „wir wollen genau hier aussteigen, auch wenn wir ganz hinten sitzen“ haben wir noch nicht heraus, aber die La PazerInnen sind, wenn auch nicht von sich aus überschwänglich, so doch hilfsbereit, wenn notwendig. Ein Mann sagt die Formel für uns und wir zahlen den Fahrpreis, diesmal wieder weniger als letztes Mal. Ja, legt uns nur rein, wir können derzeit sowieso nichts dagegen tun.