Zu reisen ist an und für sich schon eine aufregende Sache, die Vorbereitung und Mut zu Neuem erfordert. Mit Kindern zu reisen ist da nochmal eine Kategorie drüber. Werden die Kinder den langen Flug aushalten? Werden sie schlafen können? Werden sie bei Laune bleiben? Werden sie die Begeisterung ihrer Eltern für die Reise teilen? Wir können all diese Fragen nach unserer 26stündigen Anreise mit einem extragroßen Ja beantworten! Io und Linus waren die ganze Zeit über vorbildlich.
Und die Anreise war wirklich lang. Über Madrid und Lima, dann über Santa Cruz, jeweils mit längeren Aufenthalten, um endlich in La Paz anzukommen. Der Flug über den Titicacasee, der dreimal so groß ist wie der Bodensee und nicht aufzuhören scheint, ist mindestens genauso beeindruckend wie die Aussicht auf die Anden, die längste Gebirgskette der Welt. Interessante Gespräche begleiten uns auf unsere Anreise: ein Bolivianer, der seit Jahren in den USA lebt und uns warnt, wir sollen in La Paz ja niemandem trauen. Ein US-Amerikaner, der für eine Stiftung arbeitet, an der auch Bill und Linda Gates beteiligt sind, die Forschung und Anbau von fast vergessenen Getreidesorten in Südamerika fördert. Einige RucksacktouristInnen, die man, wie uns auch, an der Ausrüstung leicht erkennen kann: Wanderschuhe, Funktionsbekleidung und erwartungsvoller Blick.
Dann, endlich, fliegen wir La Paz an. Der Anblick ist atemberaubend, denn wir fliegen über die waldlose Hochebene Altiplano, die steil abfällt in den Kessel, in dem La Paz liegt. Ein unüberschaubares Häusermeer liegt unter uns. Direkt am Beginn des Abgrunds zum Talkessel sehen wir einen Strich in der Landschaft – den Flughafen von El Alto, den höchstgelegenen der Welt auf 4050m. Die Flugzeuge benötigen hier fast 5km Start- und Landebahn und die Crew muss vor der Landung die Automatik der Sauerstoffmasken ausschalten, da diese automatisch herunterfallen würden, weil der Luftdruck so gering ist. Die Landung fühlt sich normal an, wir sind alle gespannt, wie uns die Höhe bekommen wird. Das erste Gähnen nach der Landung zeigt schon, tief Luft holen ist zuerst mal nicht.
Die Formalitäten nach der Landung bringen nichts von all dem, auf das wir uns vorbereitet hatten. Weder wird unsere Gelbfieberzertifikat verlangt, noch ein Rückflugticket. Es werden lediglich die Pässe abgestempelt – Estado Plurinacional de Bolivia - und ein Foto gemacht. Das alles erleben wir wie auf einem schwankenden Schiff – die Höhe hat uns schon. Leichtes Kopfweh macht sich bemerkbar und da sagt auch schon Linus: „Mir ist ganz schlecht.“ Also schnell hingelegt und schon ist eine sehr nette Dame vom Zoll da, die uns den Arzt mit der Sauerstoffflasche schicken möchte. Mit etwas Wasser zu trinken erholt sich Linus wieder, wir verzichten auf den Sauerstoff.
Das Gepäck ist auch angekommen – was beim Zwischenstop in Lima noch nicht so sicher war – und die Abholung vom Flughafen klappt wunderbar. Wir quetschen uns und unser Gepäck in einen Kombi und ab geht’s in den Verkehr von El Alto. Verkehrsregeln gibt es hier, und zwar: fahren, ganz egal wie. Gelegentlich sehen wir eine Ampel, die interessiert hier aber niemanden so wirklich. Mit gemischten Gefühlen sehen wir der Fahrt durch La Paz mit unserem Tioga entgegen.
Und da sind sie, die Frauen, die Cholitas, mit ihren bunten Röcken mit drei Unterröcken und den braunen Melonen, ihren adrett geflochtenen zwei schwarzen Zöpfen und dem bunten gewebten Tuch auf dem Rücken, in dem sie wahlweise den Nachwuchs oder das Abendessen oder beides transportieren.
Die Stadt wuselt, der Kopf pocht, unser Taxi windet sich die steile holprige Straße nach La Paz runter, der Höhenmesser zeigt 3600m, als wir in Sopocachi bei unserer Wohnung, die nun für knapp drei Wochen unser Heim ist, ankommen. Beim Bücken nach den Koffern schnell aufsteigende Übelkeit unterdrücken – die Wohnung ist wunderschön, mit Blick auf das Häusermeer von La Paz. Rosa, eine Cholita und Juan, ihr Mann, empfangen uns herzlich und übergeben uns die Wohnungsschlüssel. Wir fallen alle todmüde ins Bett, Linus leider mit kleiner Unterbrechung. Die Banane, die wir noch schnell vor dem Schlafengehen gegessen haben, kommt wieder raus.
Die Nacht ist eiskalt, in der Früh versucht Stoffl ein Feuer im offenen Kamin zu entfachen. Es lodert ganz klein vor sich hin – es hat auch wenig Sauerstoff. Dann kommt die Sonne hervor und unser erster, wunderbar sonniger Tag in La Paz beginnt.
Was macht also die Höhe mit uns: Luft holen geht gut, Stiegen steigen in den 2. Stock raubt den Atem, die Haut ist trocken, die Nasenschleimhäute auch, leichtes Kopfweh begleitet uns. Gelegentliches Ungeschicktsein und leichte Gleichgewichtsstörungen sprechen wir auch der Höhe zu. Wir trinken tapfer Mate-Coca-Tee und haben den Eindruck, er hilft wirklich zuverlässig. Der Geschmack des Tees erinnert an Schlamm oder nasses Gras, doch die ersten Erlebnisse mit der Höhe bringen auch die Kinder dazu, zwei Tassen Coca-Tee am Tag runterzuschütten und sogar danach zu verlangen.